2. Überblick¶
2.1. Die Quelle¶
„Die Holzgewächse des Friedrichshains bei Berlin.“ ist eine Anfang der 1860er von Carl Ludwig Jahn erarbeitete Veröffentlichung, die seinerzeit als „Wegweiser für Lehrer und Schüler“ angepriesen wurde. Im Wesentlichen handelte es sich also um ein didaktisches Material, das der Popularisierung der Naturwissenschaften zu dieser Zeit Rechnung trägt und einen Beitrag dazu leistet. Neben einer weiteren Bekanntmachung des Parks in der Zielgruppe wird lediglich die Absicht, „Wißbegierde zu befriedigen und Kenntnisse zu fördern“ formuliert.1
Die Zeitschrift „Verhandlungen des Botanischen Vereins für die Provinz Brandenburg und die angrenzenden Länder“2 weist Jahn in seiner ersten Ausgabe von 18593 als in der Großen Hamburger Straße 30a wohnhaftes – also in bereits in fußläufiger Entfernung des Friedrichshains – Vereinsmitglied, das als Lehrer tätig ist, aus.4 Ab dem folgenden Jahr wird seine Wohnadresse mit der damaligen Elisabethstraße 26 angegeben, nunmehr etwa einen Kilometer vom Gegenstand seiner Darstellung entfernt.5 Der Verein entwickelte bald eine rege bibliothekarische Arbeit6, die dem Autor bei den Bestimmungen und der Taxonomierung der Gehölze im Park vermutlich hilfreich war. Wie eng sein Austausch mit den Berliner Vereinsmitgliedern, von denen sich einige wöchentlich im Café Beyer, Friedrichstraße 83, zu „geselligen Zusammenkünften versammel[te]n“7, war, lässt sich nicht nachvollziehen.
Nach einem Rückblick des Autors auf die Entstehung des ersten kommunalen Parks Berlins im Kontext der Stadtentwicklung und einer zeitgenössischen Beschreibung besteht das Werk vor allem aus einer systematischen Katalogisierung der vom Autor im Friedrichshain vorgefundenen Gehölzarten. Nach [Ascherson1863a] sei das Gehölzinventar repräsentativ für die Parkanlagen der preußischen Hauptstadt und der Residenzstadt Potsdam dieser Zeit gewesen.
Der Veröffentlichung im Jahre 1864 sind ein paar Jahre der Recherche als Nebenbeschäftigung vorausgegangen.8 Zwar ist sie mit knapp neunzig Druckseiten nicht sonderlich umfangreich, die Dokumentation von 432 verschiedenen Gehölzarten und Varietäten sowie deren Ordnung in 192 kaskadierte Kategorien war jedoch sicher kein triviales Unterfangen. Da das Vorwort im März des Jahres 1864 geschrieben wurde, sind sehr wahrscheinlich konkrete Sachverhalte des Hains bis zum Jahr 1863 bezeugt.
Der Autor gibt an, „daß diese Arbeit nicht als eine specifisch kritisch‐wissenschaftliche auftritt“9. Offenbar ist er mit einer Vielzahl botanischer Veröffentlichungen seiner Zeit bekannt, was zuweilen die genannten Synonyme und die seltenen Erörterungen dazu nahe legen. Immerhin 140 botanische Autoren und Veröffentlichungen sind im Verzeichnis der Gehölze referenziert10.
Zwar gibt Jahn an, sich an der Systematik Linnés zu orientieren, insgesamt folgte er aber offenbar der Pragmatik, eben eine Orientierung durch den Friedrichshain zu geben. Die Taxonomie der Gehölze kann als eklektische Schau quer durch die Vielzahl vorliegender Forschungen verstanden werden. So erklären sich die systematischen Inkonsistenzen abseits der Unklarheiten, die scheinbar einer Nachlässigkeit geschuldet sind, wie zum Beispiel das Auslassen der Gattung Cornus. Der sehr abwechslungsreiche Drucksatz mag seinen Anteil bei manchem Fehler gehabt haben.
In der Webanwendung des selbständigen Gehölzverzeichnis11, die teilweise einen Abgleich des Wissens der Quelle mit dem, das aktuell in der Datenbank Wikidata bekannt ist, erlaubt, kann die seinerzeitige Pionierphase botanischer Systematiken und die folgenden Konsolidierungen betrachtet werden. Beispielsweise verwendet der Autor die Gattung Alnus und ihr heutiges Synonym Alnaster als eigenständige Kategorien.
Der Umstand, dass der Autor ein Inventar vorlegt mit dem Anspruch, die darin gesammelten Gehölze „von den benachbarten Gewächsen zu unterscheiden“12 – wonach alle Entitäten darin also klar voneinander als Spezies oder Varianten diskriminierbar sein müssten, sich aber in der weitergehenden Geschichte der Botanik zumindest zwei Paare von Namen identischer Spezies gebildet haben13, bietet Anlass für Reflektionen zu Fragen der Wissenschaftsgeschichte, -theorie, -kritik, Perzeptionspsychologie, Semantik, Natur und Kultur – der Mensch als Gattung, Gott und / oder das Universum also.42
Leider sind die Standortbeschreibungen der Gehölze zu ungenau, um eine eindeutige Identifizierung der in der Quelle genannten Individuen, in der Regel ist ein Exemplar je Art genannt, im heutigen Bestand zu ermöglichen. Überhaupt ist angesichts der – in diesem Fall verkraftbarsten – Vernichtungen der deutschen Barbarei eigentlich nicht davon auszugehen, dass solche noch in nennenswerter Anzahl existent sind. Immerhin kann eine der auf Seite 26 genannten Stieleichen14 (Quercus robur) „in der Gegend des ovalen Platzes“15 plausibel als die heutige, breit ausladende an der nordöstlichen Seite des Großen Teiches in Betracht gezogen werden (siehe Abbildung 2.1).

Abbildung 2.1 Aufnahme einer vermutlich im Buch genannten Stieleiche aus dem Jahr 2014. Fotograf: Dr. Bernd Gross; Lizenz: CC BY-SA 3.0; URL: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/1/19/Naturdenkmal_Stiel-Eiche_Gro%C3%9Fer_Teich_Volkspark_Berlin-Friedrichshain_06.JPG
Die Quelle vermittelt heute also sowohl einen Eindruck des Friedrichshains fünfzehn Jahre nach seiner Fertigstellung wie auch der botanischen Forschungen in der Mitte des 20. Jahrhunderts. Als Quelle für rekonstruierende Maßnahmen, die aufgrund der Überformungen seither ohnehin nicht geboten sind, ist sie kaum geeignet. Angesichts der bevorstehenden ökologischen Veränderungen kann sie vielleicht als „Zitateschatz“ für ersetzende Pflanzungen dienen.
2.2. Der Projektablauf¶
Nachdem die Quelle, orientiert an den Praxisregeln „Digitalisierung“16, erfasst und digitalisiert sein wird, werden essentielle Beschreibungsdaten über die Quelle und Digitalisate der einzelnen Seiten derselben vorliegen. Die Praxisregeln bündeln die Erfahrungen aus von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Digitalisierungsvorhaben und bestimmen einen verbindlichen Mindeststandard für ebensolche. Für Antragsinteressierte soll hier so ein Überblick ermöglicht werden. Neben technischen Vorgaben für die Digitalisierung, die vielfältige weitere Nutzungen ermöglichen sollen, wird in den Richtlinien auch großen Wert auf die Erfassung von Metadaten gelegt, um eine langfristige Nutzung zu gewährleisten. Denn wie bei einem Buch, das in einem Bibliotheksregal steht ohne katalogisiert zu sein, ist ein zielgerichteter Bezug von Digitalisaten ohne solche schwer möglich.
Die Digitalisate werden anschließend mit dem Webservice Transkribus durch eine automatisierte Layout- und Texterkennung in eine erste Fassung einer Transkription überführt und diese korrigiert. Der Informationsgehalt dieser Transkription wird im folgenden Arbeitsschritt unter Verwendung des Deutsches Textarchiv Basisformat (DTABf) deutlich angereichert, das Kapitel zeigt Beispiele üblicher Phänomene moderner Textdrucke und diskutiert das Potential des DTABf.
Die Erörterung der Webanwendung kann keine Orientierung zur Umsetzung einer solchen geben, sondern erläutert deren Funktionalität und bemüht sich um eine Diskussion üblicher Aspekte bei der Gestaltung solcher.
Fußnoten
[1] | Laut [Ascherson1863a] war das „Werkchen“ für zehn Silbergroschen käuflich, also durchaus auch für ArbeiterInnen erschwinglich. Für Kinder und Jugendliche, die in Lohnarbeit standen, war das schwieriger – allerdings fehlten denen auch weitere Ressourcen, sich überhaupt damit zu beschäftigen. |
[2] | Der Verein heißt heute Botanischer Verein von Berlin und Brandenburg, URL der Webseite: https://www.botanischer-verein-brandenburg.de/ |
[3] | Die Gründung des Vereins erfolgte am 15. Juni desselben Jahres unter Teilnahme Jahns in Eberswalde. An der Vereinsversammlung im folgenden Jahr nahm P. J. Lenné als Gast teil, vgl. [Ascherson1860], S. V f. |
[4] | vgl. [Ascherson1859], S. XII |
[5] | vgl. [Ascherson1860], S. XVIII |
[6] | vgl. [Ascherson1860], S. VI f. und S. XV f., sowie die Listen der Neuzugänge der folgenden Ausgaben |
[7] | vgl. [Ascherson1863b], S. V |
[8] | vgl. [Jahn1864], S. IV und [Ascherson1863a] |
[9] | vgl. [Jahn1864], S. IV |
[10] | Dass im ursprünglichen Register aller genannten Autoren lediglich 115 genannt werden, deutet sowohl auf eine umfangreiche Quellenlage als auf einen längeren Entstehungszeitraum. |
[11] | vgl. https://die-holzgewächse-des-friedrichshains.de/verzeichnis/ und das Kapitel zur Webanwendung |
[12] | vgl. [Jahn1864], S. III |
[13] | Das sind Ulmus campestris und Ulmus suberosa, heute Ulmus minor, sowie Ulmus americana var. rubra und Ulmus fulva var. Cinera, heute Ulmus rubra. In beiden Fällen scheint die gleichzeitige Forschung in Europa und Nordamerika für die anfängliche Divergenz mit ursächlich zu sein. |
[42] | |
[14] | https://die-holzgewächse-des-friedrichshains.de/verzeichnis/taxon_ca7 |
[15] | Dieser lag etwa dort wo heute der runde Platz mit der Wasserglocke nordöstlich vom Großen Teich besteht. |
[16] | [DFG2016] |